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Judenverfolgung

Für die kleine jüdische Gemeinde in Selm und Bork begann 1933 die Zeit der Entrechtung, Enteignung und Vernichtung. Einigen, vor allem jüngere Jüdinnen und Juden gelang die Flucht.

Bereits am 21. März 1933 wurden in Selm Geschäfte verwüstet. Dazu gehörte auch das Textilgeschäft der Familie Schild. Auch in der Metzgerei der Frankenbergs und beim Fahrradhändler Rottmann wurden Scheiben eingeschlagen und Inventar verwüstet.
Nach und nach wurden die jüdischen Selmer:innen ausgegrenzt und ihnen die wirtschaftliche Lebensgrundlage entzogen. Schon vor dem großangelegten Boykott jüdischer Geschäfte durften Wohlfahrtsempfänger nicht mehr in jüdischen Geschäften einkaufen. Andernfalls wäre ihnen die Unterstützung gestrichen worden. Schon das war ein wirksames Mittel, da die meisten Kunden der jüdischen Geschäfte auf eben diese Unterstützung angewiesen waren.

Das Protokollbuch der Gemeindevertretung Bork, aufgeschlagen ist die Seite mit dem Beschluss, Juden nicht mehr mit öffentlichen Aufträgen zu betrauen. Stadtarchiv Selm

Die Gemeindevertretung Bork hatte 1935 beschlossen, nicht nur jüdische Geschäftsleute auszuschließen, sondern auch diejenigen nicht mehr mit öffentlichen Aufträgen zu betrauen, die mit Juden zusammenarbeiteten oder deren Dienstleistungen in Anspruch nahmen. 

In der Reichspogromnacht nahm die Gewalt neue Ausmaße an. Nicht nur Geschäfte und die Synagoge wurden verwüstet. Helene Weinberg und ihr Schwager wurden in ihrem Haus von SA-Leuten zusammengeschlagen. Zwei Tage später wurden den Viehhändlern Albert Weinberg und Jakob Stern die Legitimationskarte entzogen.  

Die Synagoge musste die Gemeinde schon zuvor zwangsweise verkaufen. Trotzdem wurde das Gebäude verwüstet. Die Tatsache, dass es sich nicht mehr um Besitz der jüdischen Gemeinde handelte, und die enge Bebauung rettete das Gebäude vor der vollständigen Zerstörung. Ein Brand in der Synagoge hätte sicher auf die beanchbarten Häuser übergegriffen.

Albert Weinberg beantragte die Verlängerung seiner Legitimationskarte, die abgelehnt wurde. Damit durfte er nicht mehr als Viehhändler arbeiten und war ruiniert. Stadtarchiv Selm

Einige Juden verließen in den 1930er Jahren Selm und Bork, doch waren die meisten von ihnen schon alt und blieben. Sie mussten mit immer neuen Repressalien ertragen: Mit dem Judenstern als sichtbarem Zeichen und den Namen Israel bzw. Sarah, die ab 1939 alle Jüdinnen und Juden im Pass führen mussten, wurden sie stigmatisiert. Wer sich mit ihnen solidarisierte, musste mit Strafen rechnen. 

Im Stadtarchiv Selm sind zahlreiche Anträge auf Namensänderung erhalten. Stadtarchiv Selm. Foto: Miran Delija
Berta Stern beantragt, den Namen Sara zu tragen. Stadtarchiv Selm. Foto: Miran Delija
Albert Weinberg nimmt den Zweitnamen Israel an. Stadtarchiv Selm. Foto: Miran Delija

So geschah es auch der Witwe Sofia Berkenkamp, die Hermann Lewin an einem nicht erlaubten Wochentag ohne Marken Brot verkauft habe. Juden durften 1942 die verschiedenen Geschäfte nur an bestimmten Tagen betreten, außerdem benötigen sich Lebensmittelmarken. Sofia Berkenkamp wurde zu einer Ordnungsstrafe von 50 Reichsmark verurteilt. 

Aus der Akte Berkenkamp/Lewin. Auch wenn hier ein Strafmaß von 200 Reichsmark empfohlen wurde, musste Sofia Berkenkamp 50 Reichsmark zahlen. Stadtarchiv Selm

Deportationen und Auslöschung der jüdischen Gemeinde 

Im Mai 1940 lebten noch 11 Jüdinnen und Juden in Selm. Sie alle mussten in das Haus von Gustav Weinberg ziehen, dass als “Judenhaus” ausgewiesen war. Zuvor waren sie nach und nach enteignet worden. Rebekka Wollenberger musste einen großen Teil ihres Hauses zwangsvermieten. Sie selbst wohnte in einer winzigen Kammer. Zu dem Zeitpunkt, zu dem die Jüdinnen und Juden im Judenhaus zusammengezogen wurden, hatte keiner mehr von ihnen Hausbesitz in Selm. 

Neben Rebekka Wollenberger mussten auch Louis Frank und Bella Schild ihre Räumlichkeiten zwangsvermieten. Stadtarchiv Selm

Am 11. Dezember 1941 fand die erste Deportation von Selmer Jüdinnen und Juden statt. Albert und Helene Weinberg wurden zunächst nach Münster und dann nach Riga deportiert. Mit dem zweiten Transport am 27. Januar 1942 wurden Rebekka Wollenberger, Jeanette Westheimer und Leonard Lewin ebenfalls nach Riga deportiert.  

Die verbliebenen Juden wurden im Haus von Louis Frank einquartiert (Dorf 76, heute Auf der Schlucht). Sie wurden am 31. Juli 1942 ins Ghetto Theresienstadt verbracht. Melchior Lewin, Hermann Lewin, Louis und Fanny Frank sowie Gustav und Rosa Weinberg waren die letzten Juden, die in Bork gelebt haben. Mit ihrer Deportation wurde die jüdische Gemeinde in Bork ausgelöscht. 

Die Deportationsliste von Juli 1942. Offiziell war nicht von Deportation, sondern von „Abwanderung“ die Rede. Stadtarchiv Selm. Foto: Miran Delija

Heute erinnern Stolpersteine an die Jüdinnen und Juden, die von Bork oder Selm aus deportiert wurden. Die Zahl der Opfer ist jedoch weitaus größer, berücksichtigt man auch diejenigen, die in den 1930er Jahren Selm und Bork verlassen haben und dann von anderen Städten aus in Konzentrationslager verbracht wurden.  

Quellen, Literatur und weiterführende Links

Stadtarchiv Selm AB-2, 2864

Stadtarchiv Selm AB-2, 2920

Stadtarchiv Selm AB-3, 5029

Stadtarchiv Selm AB-2, 5149

Stadtarchiv Selm AB-2, 2566

Stadtarchiv Selm AB, 2855

Cymontkowski, Doris: Juden in Selm, Bork, Cappenberg, Selm 1990.

Cymontkowski, Heinz: Art. Selm-Bork, in: Göttmann, Frank (Hg.): Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinschaften, Regierungsbezirk Arnsberg, Münster 2016, S. 723-730.

Lause, Beate (Hg.): Theaterleben. Schauspieler erzählen von Exil und Rückkehr, darin: Interview mit Erik Schildkraut, Frankfurt/M 1991, S. 9-34.

Pracht-Jörns, Elfi: Artikel Selm – Stadtteil Bork, in: dieselbe: Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen, Köln 2005, S. 650-657.